Die diesjährige Fortbildung stand ganz im Zeichen des 20-jährigen Bestehens der Lymphklinik Wolfsberg und war in einen festlichen Rahmen eingebettet. Das Kongressthema „Lymphologie gestern - heute - morgen“ spiegelte nicht nur die Entwicklung der Lymphklinik wieder, auch die Entwicklung der Lymphologie von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft wurde aus den verschiedensten Blickwinkeln mit kurzen Impuls-Referaten beleuchtet. Zu den internationalen Referenten, die zum Teil online und zum großen Teil live vor Ort ihre Expertise präsentierten, zählten unter anderem Frau Prof. Etelka Földi aus Hinterzarten, Herr Prof. Baumeister aus München, Prof. Belgrado aus Brüssel und Prof. Peter Berlien aus Berlin. Im Anschluss an die Tagung nutzen viele Gäste die Möglichkeit zur Besichtigung der Klinik.
Über die „Gründung der modernen Lymphologie – vom Stiefkind zur Anerkennung“, referierte Prof. Dr. med. Etelka Földi, Hinterzarten. Sie führte durch die Zeit der Empirie (19. Jahrhundert) über das 20. Jh., die Zeit der klassischen Pathophysiologie, Pathomorphologie und Etablierung der Richtlinen der lympholgoischen Diagnostik/Therapien bis hin zum Übergang 20/21. Jh., die Zeit der Molekularbiologie, Genetik, Zellbiologie, neuen technischen Forschungsmöglichkeiten und Perspektiven. Földi stellte verschiedene Persönlichkeiten und deren therapeutische Errungenschaften vor.
Die „Entwicklung der rekonstruktiven Lymph-Chirurgie“ war das Thema von Prof. Dr. Dr. med. Rüdiger G. H. Baumeister, München. Er führte durch die Zeit der 80er Jahre des 20. Jh.s und ging auf Resektionsverfahren und ableitende Verfahren ein.
Prof. Dr. rer. nat. Jörg Wilting, Göttingen berichtete vom „Lymphgefäßsystem: viel mehr als ein Abwasserkanal“.
Er ging dabei auf die Funktionen des Lymphgefäßsystems ein wie Flüssigkeitshomeostase, Metabolisierung von Hyaluronan, Beeinflussung der Extrazellulär-Matrix, Interaktion mit Zellen des Immunsystems, Einfluss auf Gerinnungsprozesse sowie den Einfluss auf Entstehung von Fettgewebe.
„Congenitale Vaskuläre Anomalien - Unerwartetes und Überraschendes“ stellte Prof. Dr. med. H.-Peter Berlien, Berlin, in seinem Vortrag vor. Dabei präsentierte er anschaulich viele Fallbeispiele aus dem Gebiet der Gefäßmalformationen. Er warf auch einen Blick auf die Vasculo-/Angiogenesis und kam zu dem Schluss, dass aufgrund der Komplexität des Systems und den vielen Einflüssen, denen es ausgesetzt sei, Unerwartetes und Überraschendes eigentlich erwartet werden müsse.
„Lymphatische Malformationen: Möglichkeiten der invasiven Therapie und neue therapeutische Ansätze“, war das Thema von Priv. Doz. Dr. med. Peter Waldenberger, EBIR, Salzburg. Statistisch kämen sie bei 2-5 von 100.000 Einwohnern vor, vor allem in der Kopf-Hals-Region, wären bei 50% bereits bei Geburt vorhanden oder sichtbar und bei 94% gäbe es eine PIK3CA Mutation. Er ging auf Symptome, Komplikationen und therapeutische Optionen ein und stellte die Indikationen, Ziele und das Prinzip der Sklerotherapie sowie medikamentöse/antiangiogene Therapieansätze vor.
Em. Prim. Dr. med. Walter Döller und Prim. Dr. med. Christian Ure, Wolfsberg, widmeten sich in ihrem Vortrag „20 Jahre wie im Flug!“ der Entstehung und Entwicklung der Klinik vom Pilotprojekt zur Lymphklinik mit Akut- und Reha-Medizin. Gegründet als chirurgische Brust-Ambulanz zur Vor- und Nachsorge wurde bald der Behandlungsbedarf sekundärer Arm- und Brustlymphödeme nach Brustkrebstherapie offensichtlich. Inspiriert von der Földi-Klinik blieben die Befürworter trotz zahlreicher Herausforderungen standhaft und erreichten die Eröffnung des „Zentrums für Lymphologie“ am 22.4.2002.
„Tätowierungen – Tattoofarbstoffe über Lymphgefäße im Lymphknoten. Krankheitswert über Interaktion mit dem Immunsystem?“ lautete der Vortragstitel von Priv.-Doz. Dr. med. Vivien Schacht, Hannover. Inhaltstoffe von Tattoofarben seien sehr variabel und enthielten Metalle wie Aluminium, Eisen und Kupfer, aber auch Quecksilber, Blei und Arsen. Die Herstellerangaben seien meist nicht zuverlässig. Seit 2007 gebe es die EU-weite Regulierung von Tattoofarbstoffen, seit Januar 2022 seien die meisten gebräuchlichen Farben verboten. Bisher zu beobachtende unerwünschte Reaktionen auf Tattoos wie z.B. das Erysipel als akute oder die Sarkoidose als chronische Entzündung seien sehr selten und sehr variabel, die Anzahl immunologischer Diagnosen steige aber. Deshalb sei die Rolle von Tattoos neben anderen Noxen zu klären. Bislang konnten keine Unterschiede bei chronischen Veränderungen in Lymphknoten bei Patient*innen mit oder ohne Tattoos erkannt werden.
Über „Alte Begriffe – neue Erkenntnisse“, berichtete Ao. Univ. Prof. Dr. med. univ. Erich Brenner, Innsbruck. Er ging dabei auf das „blinde Ende“ der initialen Lymphgefäße, den Aufbau von Lymphgefäßen beginnend mit einem initialen Lymphgefäß, das Netzwerke ausbildet, Präkollektoren und Kollektoren ein. Des Weiteren stellte er das „Starlingsche Gleichgewicht“ infrage. Es gäbe im Gleichgewichtszustand keine Resorption in die initialen Lymphgefäße, immer nur eine Filtration.
Prof. Jean-Paul Belgrado, PhD, Brüssel, sprach in seinem Vortrag „Sichtbarmachen von Unsichtbarem: ICG visualisation challenges“ über die Möglichkeit der Sichtbarmachung von Lymphgefäßen, Herausforderungen, Techniken und Methodiken. Wenn man Indocyanin green an der richtigen Stelle in der richtigen Menge injiziere, sehe man den Kollektor, nicht allerdings die initialen Lymphgefäße. Bei Jüngeren zeigten sich mehr Lymphgefäße. Nach der Injektion solle eine manuelle Lymphdrainage durchgeführt werden. Anhand von verschiedenen Patienten-Beispielen illustrierte Belgrado, wie wichtig diese Methode für Chirurgen ist.
Über das „Chirurgische Management des Lymphödems: gestern – heute – morgen“, referierte Assoc.-Prof. PD Dr. med. Chieh-Han John Tzou, MBA, Wien. Anatomie und Diagnostik (ICG, Ultraschall) seien Voraussetzungen dafür, dass Chirurgen etwas operieren oder wiederherstellen könnten. Anhand vieler herausfordernder Beispiele beschrieb Tzou unterschiedliche Verfahren der resektiven und rekonstruktiven Chirurgie, erläuterte den Mechanismus der LVA (Lymphovenöse Anastomose) und betonte, wie wichtig die interdisziplinäre Behandlung sei.
Dr. med. Wolfgang Justus Brauer, Freiburg, stellte spannende neue Daten der „Lymphszintigraphie bei operierten Tumorpatienten“ vor und hinterfragte, ob die Ergebnisse Therapierelevanz hätten. Aus der Studie könne man schlussfolgern, dass sich eine ausgeprägte Leberdarstellung bei Lymphödembetroffenen fast ausschließlich nach retroperitonealer Lymphonodektomie beobachten lasse. Dies könne ein Hinweis sein, dass aufgrund geänderter Druckverhältnisse im Lymphgefäßsystem der Abfluss nicht (nur) über Kollateralen, sondern nicht unwesentlich über lymphovenöse Anastomosen (LVA) verlaufe und der Tracer über diesen Weg schnell und in größeren Mengen das Venensystem erreiche. Es stelle sich die Frage, ob möglicherweise LVA physiologische Nebenwege des Lymphtransportes sein könnten, worauf die nicht seltenen gering ausgeprägten Leberszintigramme beim Lymphödem (wie auch bei Gesunden) deuteten.
Über die „Entwicklung der Lymphologie aus Therapeutensicht“ sprach Susan Schlums, PT, Tumeltsham, aus ihrer eigenen Erfahrung. Die Kompressionstherapie stelle immer noch einen schwierigen Punkt in der KPE dar, hier müsse bei den Betroffenen Überzeugungsarbeit geleistet werden. Positiv wertete sie die Veränderung der Wahrnehmung des Lymphödems in der Öffentlichkeit. Die Industrie erleichtere mit Innovationen wie Nachtversorgungen oder MAK’s (Medizinische Adaptive Kompressionssysteme) den Betroffenen das Leben und mache z.B. mit neuen Farben aus einem Hilfsmittel ein modisches Accessoire. Wenig Veränderung sehe sie bei Medizinern, denn es dauere oft noch lang, bis Betroffene kompetente Hilfe erhielten. Auch die mangelnde Qualität der KPE aufgrund fehlender einheitlicher Ausbildungsrichtlinien in Österreich führte sie als Manko auf genau wie die Haltung der Kostenträger gleichwertige Arbeit bei Heilmasseuren und Physiotherapeuten unterschiedlich zu vergüten. Für die Zukunft wünsche sie sich, dass ein interdisziplinäres Vernetzen auf Augenhöhe selbstverständlich sei.
Die „Rolle der Physikalischen Medizin für Lymphödem-Patienten“ erläuterte Prim. Dr. med. Christian Wiederer, Baden.
Er gab Basisinformationen zum Sonderfach Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation und stellte die Möglichkeiten der Physikalischen Medizin im Bereich Diagnostik und Therapie des Lymphödems vor. Er ging dabei besonders auf die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie, die Trainingstherapie und unterstützende Begleittherapien ein und betonte die Bedeutung der Teamarbeit.
„Lymphologische Leitlinien, Bedeutung der Leitlinien-Entwicklung“ lautete der Titel des Vortrags von Prof. Dr. Michael Koller, Regensburg. Unter dem Motto „nach der Leitlinie ist vor der Leitlinie“ ging er auf Organigramm, Methodik, die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.), Neuerungen, Änderungen und Gleichbleibendes bei der Leitlinien-Entwicklung ein. Es gäbe inzwischen sogar öffentliche Fördermittel für die Erstellung von Leitlinien und er hoffe auf die S3 Leitlinie.
Der“ Entwicklung der Lymphologie aus Bandagistensicht“ widmete sich Christine Hemmann-Moll, Bad Rappenau.
Sie berichtete über die Geschichte und Entwicklung der Kompression, Veränderungen im Lauf der Zeit in Bezug auf Materialien, Stricktechniken, Qualität, Kompressionsklassen, Versorgung im ambulanten und stationären Bereich, Krankheitsbilder und Betroffene. Es kämen immer Jüngere in die Versorgung, Selbstmanagement und Adhärenz stünden im Fokus. Qualitätsmanagement im Sanitätshaus, qualifizierte Aus- und Weiterbildung, Prozess- und Ergebnisqualität werden wichtiger. Unter dem Begriff „Kompression 4.0“ thematisierte sie 3D-Vermessung, KI und 3D-Technik beim Material.
Mit „Komplikationen beim Lymphödem – das Erysipel“, beschäftigte sich Dr. med. Christiane Stöberl, Wien. Sie ging dabei auf Definition, Symptome, Differentialdiagnose, Eintrittspforten, Dispositionsfaktoren und medikamentöse Therapie (klassisch Penicillin V) des Erysipels ein. Stöberl zeigte Unterschiede in der ambulanten und stationären Therapie und sprach über Therapiedauer, allgemeine Maßnahmen wie Bettruhe und Hochlagerung sowie Kompressionstherapie ab Rückgang der Entzündungszeichen. Das Erysipel und manuelle Lymphdrainage (nicht in der Akutphase), Rezidivprophylaxe und Therapie des rezidivierenden Erysipels, Unterschiede zwischen Behandlung in Deutschland und England, Abgrenzung Erysipel vs. begrenzter Phlegmone wurden ebenfalls thematisiert. Das Erysipel sei nicht nur Realisationsfaktor, sondern oft auch Manifestationsfaktor eines Lymphödems.
Dr. med. Gabriele Menzinger, Wien, sprach über „Häufige und seltene Hautveränderungen beim Lymphödem“ und
brachte viele Beispiele aus der Praxis mit. Auffallend seien vertiefte Hautfalten, vergröberte Hauttextur, Papillomatosis cutis, Hypodermitis, Ulcus cruris, Mykosen als Eintrittspforten und maligne Erkrankungen.
Prof. Dr. med. Gunther Felmerer, Göttingen, gewährte mit seinem Vortrag „Von der Resektion zur minimalinvasiven Therapie“ Einblicke in die Zukunftsentwicklungen in der Lymphchirurgie und stellte die verschiedenen operativen Therapien vor. Bei der Resektion sei es wichtig nur dann zu operieren, wenn das Setting stimme. Häufig machten Begleiterkrankungen eine Operation schwierig. Möglichkeiten die Transportkapazität zu erhöhen seien die Lymphgefäßtransplantation, die Lymphknotentransplantation (bevorzugt vom Hals, Bauch, v.a. beim Armlymphödem), Lymphovenöse Shunts (v.a. beim Beinlymphödem) sowie die Mikrochirurgische Lymphocelenbehandlung. Er berichtete auch über Komplikationen der verschiedenen Verfahren.
Die „Kooperation konservativ/chirurgisch beim Lymphödem sowie Kasuistiken“ beleuchtete Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Rab, Klagenfurt. Die Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im Klinikum Klagenfurt (gegründet 1991) arbeite seit Bestehen der Lymphklinik 2002 mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen. Erfolgsfaktor sei, dass sich hier Spezialisten zusammentun. Seit 2015 gebe es eine Intensivierung der Zusammenarbeit durch ein gemeinsames Therapiekonzept zur Therapie des Lipödems und Folgebehandlungen. Seit 2020 existiere ein Konzept zur gemeinsamen Versorgung des Lip- und Lymphödems mit der Abteilung Allgemeinchirurgie. Dazu werden wöchentlich gemeinsame Konsile in Wolfsberg abgehalten und eine Vorselektionierung von Patientinnen und Patienten zur optimalen Behandlung vorgenommen.
Katharina Traußnig, BSc MSc, Wolfsberg, stellte die gemeinsam mit Mag. Franz Flaggl durchgeführte Studie „Biopsychosoziale Prädiktoren für die Mortalität und den Langzeitverlauf bei Betroffenen mit Lymphödemen: eine Langzeitstudie über zwei Jahrzehnte“ vor. In ihr wurden 312 vorwiegend weibliche Teilnehmende, Durchschnittsalter 53 Jahre, mit einem durchschnittlichen BMI von 31,64 in einer Rehaklinik zu vier Zeitpunkten ab 2002 untersucht. Die Studie ziele darauf ab, mögliche Prädiktoren wie Geschlecht, Alter, Krebsvorerkrankung, BMI, Depression und Angst zu identifizieren und innovative Wege für zur Umsetzung evidenzbasierter, biopsychosozialer Behandlungsoptionen zu eröffnen.
Einblicke in die neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse
Die Veranstaltung überzeugte durch hochkarätige Referierende und internationale Teilnehmende. An lymphologisch interessierte Ärztinnen, Ärzten, therapeutischem Fachpersonal, medizinisches Personal und Versorgungsfachkräfte des medizinischen Fachhandels gerichtet, bot die Veranstaltung über Ländergrenzen hinweg viel Raum für Gespräche und Diskussionen untereinander und für das Kennenlernen von neuen Kolleg*innen mit gleichen Interessen.
Das Symposium fand als hybride Veranstaltung mit 185 Präsenzteilnehmern und 155 Online-Teilnehmern aus dreizehn Nationen statt. Prim. Dr. Christian Ure kündigte bereits den nächsten Lymphkliniktag in Wolfsberg vom 14. bis 15. April 2023 als hybride Veranstaltung an.
Mehr zu den Veranstaltungen der Akademie finden Sie unter juzo.de/akademie.
Bilder: Juzo
Julius Zorn GmbH
Juzo mit Hauptsitz im bayerischen Aichach wurde 1912 in Zeulenroda (Thüringen) gegründet und beschäftigt weltweit über 1.100 Mitarbeitenden. Mit der Schwesterfirma in den USA und den verschiedenen Tochterfirmen und Vertriebsorganisationen in Europa und Kanada bedient der Hersteller medizinischer Hilfsmittel einen internationalen Markt. Als Spezialist mit über 100 Jahren Erfahrung in der Kompressionstherapie hat Juzo es sich zur Aufgabe gemacht die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und Beschwerden nachhaltig zu lindern. Dafür produziert das Unternehmen innovative Produkte – größtenteils „Made in Germany“ – aus den Bereichen Phlebologie, Lymphologie, Narbenmanagement und Orthopädie wie Kompressionsversorgungen in Rund- und Flachstrick sowie Bandagen und Orthesen. Neben den Produkten der Fachhandels-Marke Juzo gibt es die Juzo Akademie mit Fortbildungen für den medizinischen Fachhandel, die Marke sportomedix mit hochfunktionellen Produkten für ambitionierte Sportlerinnen und Sportler und die Marke EquiCrown mit medizinischen Kompressionsbandagen für Pferde. Mit Hightech, Handarbeit und Herzblut arbeiten die Mitarbeitenden bei Juzo an innovativen und individuellen Lösungen für mehr Lebensfreude in Bewegung. Weitere Infos unter juzo.de