Der diesjährige Lymphtag stand unter dem Leitthema „Ödem trifft Adipositas“. Die Adipositas ist weltweit auf dem Vormarsch, auch in Deutschland steigt der Anteil der Adipösen permanent an. Das stellt sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch weitere medizinische Leistungserbringer vor zunehmende Herausforderungen – besonders in Verbindung mit lymphologischen Erkrankungen und deren Diagnostik und Behandlung.
Einblicke in die neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse
I. Grundlagen und Differentialdiagnose
Dr. rer. nat. Dr. med. René Hägerling, Berlin, eröffnete die Veranstaltung mit einem Vortrag über die Histologie des Lip- und des Lymphödems und die Frage, was die Ursachen der Erkrankungen und die Folgen im Gewebe sind. Mit Hilfe der neuartigen 3D-Histologie basierend auf optischer Schnittbildgebung durch lichtblatt-mikroskopische Schichtbildaufnahmen könnten im Vergleich zu 2D-Verfahren auch Gefäßnetzwerke gezeigt werden. Beim Lipödem zeigten sich keine Veränderungen von Lymph- und Blutgefäßen, aber eine charakteristische Verschiebung des max. Durchmessers der Adipozyten und somit des Volumens.
Über die Abgrenzung von Lymphödem, Lipödem, Lipohypertrophie und Adipositas sprach Dr. med. Anett Reißhauer, Berlin. Das Lipödem sei differentialdiagnostisch leicht von primären und sekundären Lymphödemen und Lipodystrophien in Verbindung mit der Anamnese abgrenzbar. Im Durchschnitt hätten Lipödem-Betroffene mindestens Adipositas Grad 2, daher solle statt dem BMI der Taillen-Hüft-Index hinzugezogen werden. Heute spreche man nicht mehr von einem Lipo-Lymphödem, sondern von einem Lipödem mit adipositasausgelöster Lymphödemkomponente. Der Fokus auf Bewegung in der Therapie sei extrem wichtig, sie wirke wie ein Medikament.
Internistische Begleiterkrankungen bei Adipositas assoziierten Ödemen schilderte Dr. med. Sören Sörensen, Mainburg. Herzinsuffizienz als wichtigste Begleiterkrankung sei ein Syndrom mit den typischen Symptomen wie Atemnot, Schwäche, Müdigkeit und Ödem. Die Echokardiographie gelte als wichtigster Nachweis einer kardialen Dysfunktion. Sörensen machte wertvolle praktische Vorschläge zur Durchführung der KPE bei Herzinsuffizienz und zur Beurteilung der Therapiefähigkeit.
II. Chirurgische Aspekte
Den Paradigmenwechsel und Internationalen Consensus zum Lipödem sowie mögliche Konsequenzen für die Patientenversorgung beleuchtete Dr. med. Tobias Bertsch, Hinterzarten. Ein Lipödem sei eigentlich kein Ödem, weil die lymphatische Beteiligung fehle. Deswegen sei z.B. auch MLD nicht zielführend, dagegen sehr wohl die Behandlung einer häufig begleitenden Adipositas.
Dr. med. Axel Baumgartner, Lübeck, widmete sich der Frage, ob der Stellenwert der Liposuktion heute geringer
geworden sei. Konservative Therapien mit Kompression, Bewegung und Entstauung (KPE) helfen je nach Schwerpunkt die Beschwerdesymptomatik des Lipödems zu reduzieren. Er zeigte anhand vieler Praxisbeispiele auf, in welchen Konstellationen eine Liposuktion angezeigt ist, um die Progredienz frühzeitig zu beeinflussen. Eine von ihm mit durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei Patientinnen und Patienten, die acht Jahre zuvor eine Liposuktion erhalten hatten, 30% keine, 60% weniger und 10% genauso häufig KPE wie vor der Operation brauchten.
Prof. Dr. med. Metin Senkal, Witten, präsentierte chirurgische Verfahren bei Adipositas und erläuterte, was diese für Folgen haben. Die Chirurgie habe sich in den letzten Jahren zu einer Standard-Therapie bei Adipositas entwickelt, da die konservative Therapie oft keine nachhaltigen Erfolge bringe. Er stellte die beiden etablierten Verfahren – die Schlauchmagenbildung und den Omega-Bypass – vor. Bariatrische Operationen reduzierten das Übergewicht, beseitigten die Nebenerkrankungen, verminderten die Mortalität bei extrem niedriger Komplikationsrate. Dennoch sei eine anschließende Anbindung der Patientinnen und Patienten in Zentren nötig, da es weiteren Behandlungsbedarf gäbe wie z.B. die Entfernung überschüssiger Hautanteile oder psychologische Betreuung.
Prof. Dr. med. Gunther Felmerer, Göttingen, stellte die chirurgische Körperformung nach Gewichtsabnahmen bei Adipositas vor und gab einen Überblick über Indikation, Methoden und Nachsorge. Frühzeitige Beratung, Erstellung eines Wiederherstellungsplans, Beratung und Behandlung bei Fettverteilungsstörungen, Erstellen von Gutachten für die Krankenkassen und die Durchführung von Straffungsoperationen seien die Aufgabe der Plastischen Chirurgie im Kontext von Adipositas. Indikationen seien z.B. Funktionsbehinderungen durch Falten oder Intertrigo. Er sprach über Therapiekonzepte wie Oberkörperstraffung, Bodylift und Oberschenkelstraffung und brachte zahlreiche Patientenfälle mit.
III. Aspekte der konservativen Therapie
Dr. med. Steffen Gass, Günzburg, erläuterte in seinem Vortrag „Die Feuchte Kammer – Therapie der Intertrigo und weiterer Adipositas assoziierter Hautprobleme“ die Unterschiede, Wirkung und Indikation von Lösung, Tinktur, Gel, Öl, Paste, Lotion, Creme, Salbe und Fettsalbe. Wundmanagement sei vor allem Feuchtigkeitsmanagement, daher sei das Wichtigste das Trockenhalten. Er informierte außerdem über den Einsatz von Steroiden und die Prophylaxe von Dermatomykosen.
Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke, Recklinghausen, beschäftigte sich mit den Besonderheiten der KPE bei adipösen Patientinnen und Patienten aus ärztlicher Sicht. Sie erläuterte, was bei jeder der fünf Säulen tatsächlich umsetzbar sei, wo es Herausforderungen gäbe und welche Lösungen möglich seien. Eine Studie habe ergeben, dass die Wirksamkeit der KPE bei Adipositas reduziert sei. Reich-Schupke regte an die Therapie der Adipositas als sechste Säule der KPE dazu zu nehmen.
Über praktische Probleme und physiotherapeutische Behandlungsansätze beim Adipositas assoziierten Lip- und Lymphödem informierte Thomas Zähringer, Hinterzarten. Er schilderte anschaulich Therapie relevante Probleme wie z.B. Form der Beine, schlechter Trainingszustand oder negatives Verhältnis zu Sport, und führte die positiven Effekte von Bewegung, z.B. im Rahmen von Rehasport, auf. Eine der Haut- und Ödemsituation angepasste Intensität der MLD sei genauso notwendig wie Vorsichtsmaßnahmen bei der Bandagierung wie Desinfektion oder Hautschutz. Zähringer ging außerdem auf die Belastbarkeit der therapeutischen Einrichtungen, wie z.B. Therapieliegen oder -geräte ein.
Martin Morand, Berlin, stellte die IPK-Plus-Methode vor, eine innovative Anwendung der apparativen intermittierenden pneumatischen Kompression. Die Kombination der IPK mit speziellen Abpolsterungseinlagen aus Schaumstoff führe zu Wirkungssteigerung mit bis zu 10x höheren Entstauungswerten (in ml) im Vergleich zur IPK ohne Polster. Gerade zur Lockerung größerer fibrotischer Flächen biete die apparative Unterstützung enorme Vorteile.
Christine Hemmann-Moll, Bad Rappenau, gewährte Einblicke in praktische Aspekte der lymphologischen
Kompressionsversorgung von adipösen Betroffenen – Was ist möglich und macht Sinn? Es sei wichtig mit kleinen Schritten zu beginnen, z.B. ein lokales Ödem zu reduzieren. Man müsse sich fragen, was das langfristige Ziel sei und was als erstes anstehe. Dann könne man ggf. Kompromisse bei der Kompression machen, z.B. geringere KKL oder Messen mit weniger Zug, oder mehrteilige Versorgungen anpassen, wenn die betroffene Person damit besser zurechtkomme.
Die Veranstaltung überzeugte durch hochkarätige Referierende und internationale Teilnehmende. An lymphologisch interessierte Ärztinnen und Ärzte, therapeutisches Fachpersonal, medizinisches Personal und Fachkräfte des medizinischen Fachhandels gerichtet, bot die Veranstaltung über Ländergrenzen hinweg viel Raum für Diskussion, Vernetzung und Wissensvermittlung.
Zum zweiten Mal fand der Lymphtag als reines Online Symposium mit 315 registrierten Teilnehmern aus 13 Nationen statt – neben Deutschland aus der Schweiz, Niederlande, Belgien, Brasilien, Österreich, Bulgarien, Türkei, Portugal, England, Russland, Litauen und Kenia. Prof. Dr. med. Markus Stücker kündigte bereits den nächsten Bochumer Lymphtag am 28. Januar 2023 als hybride Veranstaltung an.
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Bilder: Juzo
Julius Zorn GmbH
Juzo mit Hauptsitz im bayerischen Aichach wurde 1912 in Zeulenroda (Thüringen) gegründet und beschäftigt weltweit über 1.100 Mitarbeitenden. Mit der Schwesterfirma in den USA und den verschiedenen Tochterfirmen und Vertriebsorganisationen in Europa und Kanada bedient der Hersteller medizinischer Hilfsmittel einen internationalen Markt. Als Spezialist mit über 100 Jahren Erfahrung in der Kompressionstherapie hat Juzo es sich zur Aufgabe gemacht die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und Beschwerden nachhaltig zu lindern. Dafür produziert das Unternehmen innovative Produkte – größtenteils „Made in Germany“ – aus den Bereichen Phlebologie, Lymphologie, Narbenmanagement und Orthopädie wie Kompressionsversorgungen in Rund- und Flachstrick sowie Bandagen und Orthesen. Neben den Produkten der Fachhandels-Marke Juzo gibt es die Juzo Akademie mit Fortbildungen für den medizinischen Fachhandel, die Marke sportomedix mit hochfunktionellen Produkten für ambitionierte Sportlerinnen und Sportler und die Marke EquiCrown mit medizinischen Kompressionsbandagen für Pferde. Mit Hightech, Handarbeit und Herzblut arbeiten die Mitarbeitenden bei Juzo an innovativen und individuellen Lösungen für mehr Lebensfreude in Bewegung. Weitere Infos unter juzo.de